Deutsch Intern
    Chair of Special Education V - Education for People with Emotional and Behavioural Disorders

    Veranstaltungen im SoSe 2024

    Bei jeder Veranstaltung kann ein Punkt für das GSiK-Zertifikat erworben werden.

    Eine Teilnahme ist an einzelnen Veranstaltungen unabhängig voneinander möglich.

    Anmeldung auf WueStudy (05048740) oder per E-Mail: johanna.lawall@uni-wuerzburg.de

    Kontakt für weitere Informationen oder Rückfragen: Johanna Lawall (johanna.lawall@uni-wuerzburg.de)

     

    Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Interkulturelle Kompetenz in der Sonderpädagogik“ (IKiS) fand am 12.06.2024 eine Lesung aus dem Buch „Kartonwand“ mit anschließendem Gespräch mit dem Autor und Kabarettisten Fatih Çevikkollu in Kooperation mit dem Würzburger Ombudsrat statt.

     

    Der Autor eröffnete die Veranstaltung mit einer Lesung aus seinem Buch „Kartonwand“, das die Erfahrungen seiner Familie als ‚Gastarbeiter‘ aus der Türkei in den 1960er-Jahren schildert. Dabei ging er auf den Zusammenhang von Migration und psychischer Krankheit ein und beschrieb die ungewissen Lebensbedingungen seiner Kindheit. Er las das erste Kapitel, das eine Zäsur in seinem Leben markiert: Während einer Tour erhielt er den Anruf, dass seine Mutter verstorben sei, was ihn nachhaltig prägte. Ihre Erkrankung an einer Psychose inspirierte ihn, das Buch zu schreiben und den Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Arbeitsmigration zu untersuchen.

    Im anschließenden Gespräch mit Johanna Lawall erläuterte er die Geschichte der Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg und deren Auswirkungen auf seine Familie. Viele Arbeitsmigranten, wie auch sein Vater, blieben trotz der ursprünglichen Rotationspläne in Deutschland. Auch seine Frau, die entgegen den Wünschen ihrer Familie ebenfalls migriert war, blieb. Die familiären Spannungen verbunden mit der notwendigen Lebensumstellung könnten, so eine erste Vermutung von Fatih Çevikkollu, bereits zur Entwicklung ihrer Psychose beigetragen haben.

    1983 wurde das ‚Rückkehrhilfegesetz‘ eingeführt, das Migranten zur Heimkehr ermutigen sollte, doch seine Familie entschied sich zu bleiben. Der Titel des Buches verweist auf die ständige Bereitschaft zur Rückkehr. Die ‚Kartonwand‘ beschreibt den Stapel von fertig gepackten Kartons, der stets an einer Wand der Wohnung stand und die geplante Heimkehr ankündigte. Fatih gehörte zur Generation der ‚Kofferkinder‘. Dies beschreibt den ständigen Wandel der Kinder von sog. Gastarbeiterfamilien, die sowohl bei den Großeltern in der Türkei als auch bei den Eltern in Deutschland aufgewachsen sind.

    Johanna Lawall erkundigte sich auch nach den Lebensumständen seiner Mutter in Deutschland. Fatih Çevikkollu berichtete, dass sie wenig sozialen Anschluss hatte und die meiste Zeit zuhause verbrachte. Auch die Trennung von ihren Kindern, zunächst aufgrund der Aufenthalte in der Türkei und später durch ihren Auszug, bildete einen weiteren Risikofaktor für die spätere psychische Erkrankung. Als ihre Krankheit weiter fortschritt, gelang es ihr allerdings nicht, diese zu akzeptieren, sondern sie weigerte sich, diesen Umstand anzuerkennen. Sie stürzte sich in religiösen Fanatismus, den einige vermeintliche muslimische Gläubige in Deutschland propagierten. Die Eltern des Autors trennten sich u.a. als Auswirkung der Erkrankung.

    Aber schon davor gab es im Elternhaus oft Spannungen, wie er berichtete. Sein Vater wandt Ansätze der ‚schwarzen Pädagogik‘ sowie physische und psychische Gewalt gegenüber den Kindern an, während seine Mutter sich sehr passiv verhielt. Dies sei für migrantische Familien typisch, der Vater nutze die Aggressionen häufig als Ventil für den Stress, dem er ausgesetzt war. Auf die spätere Bitte seines dann erwachsenen Sohnes, für dessen Buch autobiographisch aus seinem Leben zu erzählen, reagierte er mit Ablehnung und Verschlossenheit und zog eine sehr negative Bilanz aus seiner Lebens- und Migrationsgeschichte.

    Fatih Çevikkollu äußerte sich eindrucksvoll in Hinblick auf die Ablehnung, die Menschen mit Migrationshintergrund in der Gesellschaft erleben: „Es gab keine misslungene Integration. Wir sprechen hier von einer gelungenen Ausgrenzung.“ Auch diese habe massiv zum Krankheitsverlauf seiner Mutter beigetragen.

    An diesem Punkt knüpfte die abschließende Frage von Johanna Lawall an. Sie lud ihren Gesprächspartner ein, seinen Wünschen für die Zukunft Ausdruck zu verleihen. Er forderte neben Anlaufstellen für Migrant*innen, die psychische Belastungen haben, auch kultursensible Ansätze in der Therapie und interkulturelle Kompetenzen im Gesundheitswesen allgemein. Außerdem fehle Anerkennung für den Beitrag von Arbeitsmigrant*innen zur Gesellschaft und Sichtbarkeit für die psychischen und physischen Probleme, die ihr Einsatz mit sich brachte.

    Zum Abschluss der Veranstaltung hatte das Publikum die Möglichkeit, Fragen an den Gast zu stellen. Er bedankte sich für das große Interesse und das tiefgehende Gespräch und signierte die mitgebrachten Bücher der Zuhörenden.

     

    Hintergrund des Referierenden:

    Fatih Çevikkollu ist ein deutscher Kabarettist, Theater-, Film- und Fernsehschauspieler und Sohn türkischer Eltern, die in den 60er-Jahren als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen. Er studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und ging dann ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Für sein erstes Soloprogramm „Fatihland“ wurde er 2006 mit dem Prix Pantheon Jurypreis ausgezeichnet. 2023 veröffentlichte er sein Buch „Kartonwand“ in zweiter Auflage. Dort beschreibt er „das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie“ und erzählt von generationsübergreifenden Wunden, die die Arbeitsmigration gerissen hat und gibt damit den sogenannten „Gastarbeitern“ und ihren Familien eine Stimme.

     

    Wir bedanken uns sehr herzlich bei Fatih Çevikkollu für die Lesung und das spannende und persönliche Gespräch, bei allen Anwesenden für ihre Teilnahme, Mitarbeit und ihr Interesse an der Themenstellung, beim GSiK-Team samt studentischen Hilfskräften für die finanzielle und organisatorische Hilfe sowie bei unserem Lehrstuhlinhaber Herrn Univ.-Prof. Dr. Roland Stein für die Unterstützung.

    Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Interkulturelle Kompetenz in der Sonderpädagogik“ (IKiS) fand am 13.06.2024 ein Vortrag über die Rolle von Behinderung im Schauspielkontext von Carina Kühne über Zoom statt.

     

    Carina Kühne, eine Schauspielerin mit Trisomie 21, berichtete in ihrem Vortrag über die Rolle, die ihre Behinderung in ihrer Schauspielkarriere spielt, und beleuchtete zentrale Themen im Zusammenhang mit Behinderung und Schauspiel. Da sie sich zum Zeitpunkt des Vortrags wegen einer Anstellung im Theater in Hamburg befand, fand die Veranstaltung über Zoom statt.

    Sie begann mit der Vorführung von Clips aus ihren Film- und Fernsehauftritten, darunter „Be My Baby“ und „In Aller Freundschaft“, sowie Ausschnitten aus zwei Theaterstücken.

    Carina Kühne verkörperte dabei unterschiedlichste Rollen, kritisierte jedoch, dass Behinderung in den Medien oft klischeehaft und eindimensional dargestellt werde. Oftmals werde die Behinderung als zentrales Thema hervorgehoben, wodurch andere Aspekte in den Hintergrund treten würden. Den Ausdruck „Wer gesehen wird, gehört dazu!“ sieht sie kritisch, denn es komme darauf an, wie bestimmte Gruppen präsentiert werden. Populäre Filme könnten negative Vorstellungen über Menschen mit Behinderungen verstärken oder Stereotype verfestigen.

    Carina Kühne setzt sich dafür ein, dass Rollen für Menschen mit Behinderungen auch von Schauspieler*innen mit entsprechenden Behinderungen besetzt werden. Diese könnten die Charaktere authentischer darstellen und haben oft nur die Möglichkeit, diese Rollen zu spielen, während sie für andere Rollen nicht in Betracht gezogen werden. Sie erläuterte, dass 98 % der Rollen mit Behinderungen von nichtbehinderten Schauspieler*innen gespielt werden, die dafür häufig auch noch Preise erhalten. 16 % der Oscar-Preisträger*innen haben Rollen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen gespielt. Die Vortragende betonte, dass tatsächlich betroffene Schauspieler*innen oft nicht die Gelegenheit erhalten würden, diese Rollen selbst zu verkörpern. Dabei schreibt die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am kulturellen Leben vor und fordert, „Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten und zu nutzen“. Laut Carina Kühne habe Deutschland noch einen weiten Weg vor sich, um diese gleichberechtigte Teilhabe zu verwirklichen.

    Sie stellte einige Ansatzpunkte vor, wie dies erreicht werden kann: Bereits in der Ausbildung an Schauspielschulen sollten Inklusion und Diversität gefördert und Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen Zugang ermöglicht werden. Auch bei Castings sollte auf Zugänglichkeit geachtet werden. Sie regte die Zuhörer*innen zum Nachdenken an, indem sie die Frage aufwarf, ob es eine Art „Diversitätsquote“ für Castings und Besetzungen geben sollte. Mit ihrem abschließenden Appell „Einfach machen!“ hält sie Filmemacher*innen dazu an, Neues auszuprobieren, Risiken einzugehen und Inklusion in der Praxis umzusetzen und möchte junge Schauspieler*innen mit Behinderung dazu ermutigen, ihren Traum zu verfolgen.

    Zum Abschluss der Veranstaltung bot Carina Kühne den Anwesenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die Teilnehmenden zeigten großes Interesse an ihrem Werdegang, ihren bisherigen Rollen und ihren Plänen für die Zukunft.

     

    Hintergrund der Referierenden

    Carina Kühne wurde in Berlin geboren und wohnt jetzt in Seeheim-Jugenheim. 2008 sammelte sie in dem Dokumentarfilm "Vier Leben" erste Erfahrungen als Schauspielerin (Regie Cornelia Thau). 2013 spielte Carina Kühne dann ihre erste große Hauptrolle in dem mehrfach ausgezeichneten und für den Grimme-Preis nominierten Spielfilm "BE MY BABY" unter der Regie von Christina Schiewe - ein Film über eine junge Frau mit Down-Syndrom, die durch ihren Kinderwunsch in Konflikt mit ihrer Umwelt gerät. Bei den Filmfestspielen in München war sie als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert ebenso wie für den Günter Strack Nachwuchspreis.

    Seitdem spielte sie in mehreren Filmen und Serien mit, darunter „In aller Freundschaft – Das Leben ist ein Wagnis“ (2016), „Die Bergretter – Ohne Aussicht“ (2017) und „Werk ohne Autor“ (2018). Zudem verkörperte sie 2019 die Hauptrolle am Gripstheater in Berlin in dem Stück „Cheer out loud“ in der Regie von Robert Neumann. Derzeit genießt sie privaten Schauspielunterricht bei Hans Hirschmüller.Darüber hinaus engagiert sich Carina Kühne sehr für das Thema Inklusion und Selbstbestimmung, sowohl als Autorin als auch als geschätzter Gast in verschiedenen TV- und Hörfunksendungen u. a. bei Günther Jauch und als Referentin vor Lehrer*innen und Student*innen an verschiedenen Hochschulen.

     

    Wir bedanken uns sehr herzlich bei Carina Kühne für den sehr lehrreichen und informativen Vortrag, bei den Studierenden für ihre Teilnahme, Mitarbeit und ihr Interesse an der Themenstellung, beim GSiK-Team samt studentischen Hilfskräften für die finanzielle und organisatorische Hilfe sowie bei unserem Lehrstuhlinhaber Herrn Univ.-Prof. Dr. Roland Stein für die Unterstützung.

    Im Rahmen der GSiK-Reihe "Antisemitismus begegnen - Historische und aktuelle Perspektiven auf Antisemitismus und Rassismus in Deutschland" und der Veranstaltungsreihe „Interkulturelle Kompetenz in der Sonderpädagogik“ (IKiS) fand am 06.06.2024 in Kooperation mit der Lern- und Forschungsstelle des Institus für Sonderpädagogik eine Führung durch das Museum und die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Würzburg statt.

    Im Sommersemester 2024 werden der Themenkomplex Antisemitismus und Judentum mit einer Reihe von Veranstaltungen tiefgehend behandelt, darunter eine Exkursion in die Synagoge und das Jüdische Museum Würzburg.

    Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter von Shalom Europa führte die Gruppe durch das Museum, das als einziges deutschlandweit von einer Gemeinde geführt wird, wodurch jüdische Regeln wie das Verbot unkoscherer Nahrung und die Pflicht einer Kopfbedeckung in der Synagoge für Männer eingehalten werden müssen.

    Die Führung begann mit einer historischen Perspektive: Die frühsten schriftlichen Quellen zu Jüd*innen in Würzburg aus dem frühen 12. Jahrhundert berichten von einem Pogrom mit 30 Todesopfern, deren Grabsteine teilweise im Museum ausgestellt sind.

    Dann konnte die Gruppe eine Tora-Schriftrolle betrachten und erfuhr mehr über ihre aufwändige Herstellung, den Umgang mit den Schriften und die enthaltenen 613 Gebote und Verbote – daher ist 613 die heilige Zahl des Judentums.

    Anschließend zeigte der Ehrenamtliche weitere wichtige Objekte der Religion, wie Mesusot (Schriftrollen, die am Türrahmen befestigt werden), Tefillin (Gebetsriemen, die am Körper getragen werden), den Gebetsmantel, genannt Tallit, und Auszüge aus dem Talmud, einer erweiterten Form der Tora mit eigenen Ergänzungen, Auslegungen und Kommentaren verschiedener Gelehrter. Im Kellergeschoss des Museums folgten Informationen zur Beschneidung, Bar- und Badmitzva, Hochzeit und Ehegrabsteinen.

    Nach der Museumsführung wurden die Teilnehmenden in die Synagoge geführt, die nach Jerusalem ausgerichtet ist und geschlechtergetrennte Sitzreihen hat. In der Mitte befindet sich die Bima, eine Bühne, auf der die Tora vorgelesen wird. Sie wird im Toraschrein aufbewahrt und im Gottesdienst von je sieben ausgewählten Männern der Gemeinde vorgelesen. Die Gruppe erfuhr mehr über den genauen Ablauf des Gottesdienstes, der fast vollständig auf althebräisch abgehalten wird.

    Zuletzt bedankte der Mitarbeiter sich für die Aufmerksamkeit und sprach die Einladung aus, Interessierte könnten gerne einmal als Gäste an einem Gottesdienst teilnehmen.

     

    Wir bedanken uns sehr herzlich bei der jüdischen Gemeinde für die Einladung und bei dem engagierten Mitarbeiter für die sehr lehrreiche und informative Führung, bei den Studierenden für ihre Teilnahme, Mitarbeit und ihr Interesse an der Themenstellung, beim GSiK-Team samt studentischen Hilfskräften für die finanzielle und organisatorische Hilfe sowie bei unserem Lehrstuhlinhaber Herrn Univ.-Prof. Dr. Roland Stein für die Unterstützung.

    08.05.2024, 16.15-17.45 Uhr (0.002 im ZHSG)

    Referentin: Prof. Dr. Ilona Nord