Kreative Tools
Das interaktionistische Modell der emotionalen und sozialen Entwicklung (kurz: "iESE-Modell") ist konzipiert als ein theoretischer Rahmen für die Anwendung interaktionistischen Denkens in der Praxis der Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Zentrales Kernmerkmal des Modells ist der Erlebensbezug (englisch "experiencing", davon abgeleitet "Experienzielle Kommunikation", vgl. Hofmann, 2017). Es ist ein pädagogisches Handbuch geplant, das zentrale Aspekte des iESE-Modells bündelt. Darüber hinaus werden mehrere kreative Tools entwickelt, die konkretes erlebensbezogenes Arbeiten in der Pädagogik bei Verhaltensstörungen möglich machen oder vereinfachen. Hauptanwendungsfelder der Tools sind die sonderpädagogische Beratung, Supervision und kollegiale Fallberatung. In allen Fällen geht es darum, die situative Komplexität von als problematisch zu bewertenden pädagogischen Situationen in all ihrer Feinheit reflektieren zu können, um Ansatzpunkte für adaptives pädagogisches Handeln zu entwickeln.
1. Sinn-Bilder
Sinn-Bilder sind Bildkarten mit metaphorischen Darstellungen. Die Auswahl der Motive orientiert sich inhaltlich an den philosophischen Arbeiten von Rombach (1994) und Gendlin (2015). Beide Autoren beschreiben „organische“ Veränderungsprozesse, wie man sie auf den Bildern sieht. Metaphorische Darstellungen können den Einstieg in Erlebensprozesse erleichtern. Sie können helfen, das auszudrücken, was gerade spürbar ist. Die Motive sind dabei offen für das gefühlsmäßige Erleben und zugleich konkret genug für sprachliche Beschreibungen. Die Karten können durch diese Eigenschaft der Doppelseitigkeit (Erleben und Sprache) einen Explikationsprozess initiieren, der den impliziten Erlebenskern des Themas aussymbolisiert (vgl. Hofmann, 2017).
Für die direkte Explikationsarbeit mit Kindern und Jugendlichen genügt ggf. bereits eine breite Auswahl aus Formen und Farben, die in der praktischen Umsetzung zum subjektiven Erleben in Bezug gesetzt werden können (vgl. Markones, 2017). In anderen Fällen kann die Kartenarbeit mit Materialien erweitert werden, die den spezifischen Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen (z.B. Adjektivlisten). Hierfür werden spezifische Sets entwickelt. In allen Fällen geht es darum, zu unterstützen, dem subjektiven Erleben Raum zu geben. Dies ist insbesondere in sonderpädagogischen Kontexten von Belang, in denen die Interaktion von Person und Umwelt von Störungen gekennzeichnet ist (vgl. Stein, 2017). Das Erleben der Situation kann in der Pädagogik bei Verhaltensstörungen zugleich als Kristallisationspunkt der Störung, aber auch als Ansatzpunkt für adaptive Veränderung verstanden werden (vgl. Hofmann & Freitag, 2018).
2. Thinking at the Edge / Thetaland
Erlebensbezogenes Denken (engl. Thinking at the Edge - „TAE“) wurde ursprünglich entwickelt von Prof. Eugene T. Gendlin an der Universität Chicago als eine systematisch anwendbare Methode der Theoriebildung (vgl. Gendlin, 2004a, 2004b). Es ist mit der Focusing-Methode (vgl. Gendlin, 1998; vgl. Gendlin & Wiltschko, 2004) verwandt und sieht ein rhythmisches Pendeln zwischen Erleben und Sprache vor. Im deutschsprachigen Raum existieren bislang mehrere Anwendungsbezüge, zum einen als flexibel anpassbare Praxis des erlebensbezogenen Denkens an unterschiedliche Kontexte (vgl. Fendler-Lee, 2017), aber auch in Form eines spezifischen erlebensbezogenen Coachingangebots (vgl. Deloch, 2017).
TAE ist ein strukturierter Denkprozess. In 14 aufeinander abgestimmten Schritten wird es möglich, eine inhaltliche Position zu einem bestimmten Thema zu entwickeln, die auf eigener Erfahrung beruht. Vages Erleben kann in klare Worte gebracht werden, so dass es so kommunizierbar wird, dass es vom Gegenüber verstanden werden kann. Erlebensbezogenes Denken kann somit in pädagogischen Kontexten als eine praktisch anwendbare Methode der Autonomiebildung verstanden werden (vgl. Hofmann, 2017). Das Tool „Thetaland (TM)“ basiert auf den Prinzipien und Fragen des Erlebensbezogenen Denkens. Die Methodik wird von den deutschen AutorInnen des Spiels weiterentwickelt zur flexiblen Adaptation an unterschiedlichste fachliche Fragestellungen und zur spielerischen Anwendung der ursprünglichen 14 TAE-Schritte in der Arbeit mit Gruppen.
3. Lösungsuhr
Die Lösungsuhr ist ein Tool zur Entwicklung von stimmigen Lösungen in komplexen und verfahrenen Problemsituationen. Sie hilft dabei, neue Freiräume zu schaffen, die Dynamik gestoppter oder zusammenbrechender Interaktionsprozesse (im Sinne Möckels, vgl. 1982) gedanklich zu durchdringen und (wieder) ins Fließen zu bringen und konkrete adaptive Gestaltungsmöglichkeiten für praktisches Arbeiten aufzuzeigen. Als Reflexionswerkzeug kann sie in kollegialen Fallbesprechungen, Supervisionssitzungen und in der sonderpädagogischen Beratung eingesetzt werden.
Die zwölf Lösungsprinzipien der Uhr bündeln theoretisches Wissen um adaptive Prozessverläufe und die Essenz aus praktischer Erfahrung. Die Lösungsmethode wird im Manual erläutert und ist spielerisch durchführbar. Anschauliche Beispiele machen jedes einzelne Lösungsprinzip plastisch und greifbar. Die Lösungsmethodik leitet sich ab aus experienziellen, imaginativen und körperbezogenen Herangehensweisen aus dem Focusing, der Metaphernarbeit und der Motopädie.
Forschungsfragestellungen
- Was sind Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes der kreativen Tools im Kontext von Fallarbeit, Supervision und sonderpädagogischer Beratung? Welche Tools eignen sich besonders für welches Anwendungsfeld?
- Wie kann die Methode und die Auswahl jeweiligen Einzel-Elemente angepasst werden an spezifische Kontexte und Zielgruppen (z. B. Einsatz mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen)?
- Wie lassen sich prozessphilosophische Grundlagen, psychologische Modelle der Informationsverarbeitung und aktuelle Metapherntheorien im Hinblick auf den Anwendungsbezog verknüpfen?
- Welche Handlungsempfehlungen für die praktische Arbeit lassen sich aus den hieraus gewonnenen Erkenntnissen ableiten?
Weiterführende Informationen
Sinn-Bilder Beispielvideo mit Karten: https://www.youtube.com/watch?v=yUKq0_WmZQ0
Websites: www.sinn-bilder.de, www.thetaland.net, https://loesungszeit.net/
Ansprechpartner
Dr. Tony Hofmann
Universität Würzburg
tony.hofmann@uni-wuerzburg.de
0931 / 31 83324
Beteiligte
Dr. Evelyn Fendler-Lee, TAE-Trainierin, Coach, USA,
evelyn@fendler-lee.com
www.fendler-lee.com
Dipl.-Päd. Monika Lindner, ECC/Trainer (GwG), MonikaLindner@gmx.de
Prof. Dr. Stephan Ellinger
Lehrstuhl für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen
weitere Informationen
OStRin Stefanie Daum, Staatliche Berufsschule 2, Aschaffenburg
Bettina Markones, StR‘in FöSch, tätig im MSD
bettina@kinderfocusing.de
09306 / 980 651
Christian Uebele
Motopäde / Mototherapeut / Sportlehrer
https://www.institut-uebele.de/
Detlef Girke
Barrierefreie IT (BITV-Consult)
Initiative Nachbar Wenzel / Erthal Sozialwerk
Hilfen für Menschen mit psychischer Erkrankung
https://www.erthal-sozialwerk.de/
Alisa Ramona Böck, Studentin der Sonderpädagogik / Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Sonja Schell, Studentin der Sonderpädagogik / Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Marius Opferkuch, Student der Sonderpädagogik / Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Laura Stephan, Studentin der Sonderpädagogik / Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Literatur
Deloch, H. (2017): Erlebensbezogen Denken, Coachen und Moderieren: Der Coachingansatz ECC - Erlebensbezogenes Concept-Coaching. In: Person, Vol. 21, No. 2., 120-131
Fendler-Lee, E. (2018): Thinking at the Edge - Eine Herausforderung, die sich lohnt. In: Person, Vol. 21, No. 2, 110-119
Gendlin, E.T. (1998): Focusing. Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Gendlin, E.T. (2004a): Introduction to Thinking At the Edge. In: The Folio. A Journal for Focusing and Experiential Therapy. 1 (19), S. 1–8. Online verfügbar unter http://www.focusing.org/tae-intro. html, zuletzt geprüft am 05.09.2018
Gendlin, E.T. (2004b): Thinking at The Edge (TAE) Steps. In: The Folio. A journal for Focusing and Experiential Therapy, 1 (19), S 12-24
Gendlin, E. T.; Wiltschko, J. (2004): Focusing in der Praxis. Eine schulenübergreifende Methode für Psychotherapie und Alltag. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta
Gendlin, E.T. (2015): Ein Prozess-Modell: Körper. Sprache. Erleben. Freiburg: Karl Alber
Hofmann, T. (2017): Experienzielle Kommunikation. Wie kann soziales Miteinander in komplexen Situationen gelingen? Coburg/Weitramsdorf: ZKS
Hofmann, T. & Freitag, I. M. (2018): Der Interaktionsprozess als sonderpädagogischer Leitbegriff. Zeitschrift für Heilpädagogik, 8/18, S. 379-387
Markones, B. (2017): Ich fühl mich heute Lila. Basismaterial für Kinderfocusing. Gossmannsdorf b. Würzburg: Verlag für psychosoziale Medien
Möckel, A. (1982). Die Zusammenbrüche pädagogischer Felder und ihre Ursprünge der Heilpädagogik. Zeitschrift für Heilpädagogik, 33, 77-86.
Rombach, Heinrich (1994): Der Ursprung. Philosophie der Konkreativität von Mensch und Natur. Freiburg im Breisgau: Rombach
Stein, Roland (2017): Grundwissen Verhaltensstörungen. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren